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null 30 Jahre Tschernobyl

Auswirkungen und Folgen in Baden-Württemberg

21.04.2016

Am 26. April 1986 zerstörte eine Explosion Block vier im Kernkraftwerk Tschernobyl in der Ukraine und schleuderte radioaktives Material in die Umgebung. Die in die Erdatmosphäre gelangten radioaktiven Stoffe kontaminierten infolge radioaktiven Niederschlags weite Teile von Russland, Weißrussland und der Ukraine. Darunter waren die Isotope Cäsium-137 mit einer Halbwertszeit von rund 30 Jahren und Jod 131 mit einer Halbwertszeit von 8 Tagen. Die radioaktive Wolke zog in den folgenden Tagen über Skandinavien bis nach Mitteleuropa. In Deutschland waren aufgrund regionaler Niederschläge vor allem die südlichen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg betroffen. 

Die Folgen von Tschernobyl sind heute noch vereinzelt in Baden-Württemberg nachweisbar. „Wir finden bei Stichproben in den Böden Oberschwabens noch das langlebige Cäsium-137“, so Margareta Barth, Präsidentin der LUBW Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg. In einigen Regionen Süddeutschlands kann das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Freiburg im Fleisch mancher Wildschweine auch heute noch erhöhte Cäsiumwerte feststellen. „In allen anderen Nahrungsmitteln finden wir dagegen kaum noch künstliche Radionuklide“, so die Präsidentin der LUBW. 

Die Ereignisse vor 30 Jahren aus baden-württembergischer Sicht 

Die radioaktive Wolke wurde am 28. April 1986 zuerst in Skandinavien gemessen. Nachdem diese Information die anderen Staaten in Europa erreicht hatte, wurden die Messinstitutionen im Land alarmiert. Über die allgemeine Messbereitschaft hinaus wurden schnell gezieltere Messungen eingeleitet. Aus der damaligen Sowjetunion waren zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Informationen über den Unfall und seine Auswirkungen zu vernehmen. 

„Am 30. April traf die radioaktive Wolke um 11 Uhr an unserer Messstation in Waldshut ein“, erinnert sich LUBW-Mitarbeiter Dr. Reinhard Aures. Er war damals für den Probebetrieb der Kernreaktorfernüberwachung verantwortlich. „Wir konnten verfolgen, wie sich der Strahlenpegel im Laufe des Tages verdoppelte.“ Die Bundesmessstelle auf dem Schauinsland bestätigte den Anstieg von ca. 0,1 Mikrosievert pro Stunde (µSv/h) – das ist der Normalwert – auf 0,2 µSv/h am 1. Mai und auf 0,25 µSv/h am 2. Mai. Danach sanken die Werte langsam wieder. Heute weiß man, dass die jährliche Dosis für die Bevölkerung in Deutschland aus den Folgen des Reaktor-Unfalls in Tschernobyl weniger als ein halbes Prozent der Dosis durch natürliche Strahlung ausmacht. 

Die atomrechtliche Aufsicht hatte zu diesem Zeitpunkt in Baden-Württemberg das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Umwelt und Forsten (MELUF) unter Führung des damaligen Ministers Gerhard Weiser. Weiser errichtete sofort ein Lagezentrum, das rund um die Uhr besetzt war und alle Maßnahmen koordinierte. Gemessen haben seinerzeit alle Einrichtungen, die über Strahlenmessgeräte verfügten. Zunächst wurde entsprechend der meteorologischen Verhältnisse und Prognosen in verschiedenen Regionen Strahlenpegel und Luftaktivität kontrolliert, später die Aktivität auf dem Boden. Rasch war klar, dass zu keiner Zeit in Baden-Württemberg eine Schwelle erreicht werden würde, bei der Maßnahmen des Katastrophenschutzes notwendig werden würden.

LUBW wird in der Krise zentraler Ansprechpartner für die Bevölkerung

Noch am Abend des 1. Mai wurde ein umfangreiches Programm zur landesweiten Untersuchung von Bewuchs, Gemüse und Milch beschlossen. Eine wichtige Anlaufstelle für diese Messungen war die LUBW. „Viele Freiwillige aus unserem Haus haben mitgeholfen“, betont Labormitarbeiter Volker Bechtle. „Die zahlreichen Proben hätten wir ohne sie nicht geschafft.“

Sobald die zuständigen Telefonnummern der LUBW öffentlich bekannt waren, kam der Informationsaustausch mit Ministerium und anderen Behörden beinahe zum Erliegen! „Die Telefone klingelten permanent“, erinnert sich Hubert Wenzel, LUBW-Mitarbeiter aus Karlsruhe. „Vom Bürgermeister bis zur Erzieherin, vom Landwirt bis zum Klärwärter, vom Einkäufer bis zum Gebäudemanager, jeder wollte damals seine Produkte gemessen haben.“ Es ging um Sandkästen auf Spielplätzen, den Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel, die Entsorgung kontaminierter Filter großer Lüftungsanlagen oder um die Beschaffenheit von Badegewässern. „Man hätte überall zugleich sein können!“ erinnert sich Wenzel. „Ich musste schließlich ein zusätzliches Telefon außerhalb des Hausnetzes besorgen. Nur so ließ sich der Dienstverkehr zwischen den Behörden aufrechterhalten.“ Über Wochen waren Fragen besorgter Bürger zu beantworten, manche blieben schmunzelnd in Erinnerung, wie: „Geht die Strahlung beim Kochen weg?“ 

Einrichtung einer flächendeckenden Überwachung der Umweltradioaktivität in Deutschland 

In Folge der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurde in Deutschland im Dezember 1986 das Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) erlassen. Eine bundesweite flächendeckende Überwachung der Umweltradioaktivität wurde initiiert. Das integrierte Mess- und Informationssystem (IMIS) mit einer festen Verteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern entstand. Ziel war es, die Umwelt kontinuierlich zu überwachen und geringfügige Änderungen der Umweltradioaktivität flächendeckend schnell und zuverlässig zu erkennen, aber auch langfristige Trends zu erfassen. An dem Messprogramm sind heute mehr als 60 Laboratorien in Bund und Ländern beteiligt, darunter auch die LUBW. Die LUBW misst die Radioaktivität unter anderem in Landesgewässern, Kläranlagen und Verbrennungsanlagen sowie in Böden und bestimmten Pflanzen. Die Ergebnisse aller Messinstitutionen werden beim Bund zusammengeführt und sind auf der folgenden Webseite abrufbar: (https://www.bfs.de/DE/themen/ion/notfallschutz/bfs/umwelt/international.html

Hintergrundinformation:

Die heutigen Aufgaben der LUBW in der Radioaktivitätsüberwachung

Die LUBW überwacht heute die Umgebung von Kernkraftwerken und beprobt die baden-württembergische Umwelt auf künstliche Radioaktivität. Jährlich untersucht die LUBW über 1.000 Proben, wie Aerosole, Niederschlag, Boden, Bewuchs, pflanzliche Nahrungsmittel, Milch, Oberflächenwasser, Sedimente, Fische und Trinkwasser aus Baden-Württemberg. Für diese Aufgaben unterhält die LUBW ein Radiochemie- und Strahlenmesslabor. Bei einem Reaktorunfall wie Tschernobyl steigt diese Probenanzahl erheblich. 

Mit der Kernreaktorfernüberwachung KFÜ verfügt die LUBW über ein komplexes radiologisches Messnetz zur Überwachung der baden-württembergischen sowie der angrenzenden ausländischen Kernkraftwerke. Sobald der Strahlenpegel ansteigt, wird rund um die Uhr automatisch die zuständige Behörde alarmiert. An ausgewählten Standorten rund um Baden-Württemberg wird zudem laufend die Radioaktivität in der Luft gemessen. Damit kann eine „radioaktive Wolke“ nicht nur entdeckt, sondern gleich vor Ort auf ihre strahlenden Bestandteile hin untersucht werden. Die zahlreichen Messdaten und Ergebnisse der LUBW werden der Öffentlichkeit über das Internet zur Verfügung gestellt (www.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/1204/).

Bilder aus dem Arbeitsalltag der LUBW im Jahr 1986 in den Wochen nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl 

Auch wenn die Menschen 1969 schon zum Mond geflogen sind, war 1986 das wichtigste Kommunikationsmittel immer noch das Festnetztelefon – damals noch mit Wählscheibe. Das Faxgerät war schon „Hightech“. Die „Datenbank“ mit den Messergebnissen war die Pinnwand mit Zetteln, die Ablage waren Ordner und Akten.

 

 

Rückfragen
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