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Verlust von Lebensräumen und Klimawandel
GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR NATURKUNDE KARLSRUHE UND DER LUBW LANDESANSTALT FÜR UMWELT BADEN-WÜRTTEMBERG
27.09.2022
Baden-Württemberg/Karlsruhe. In den vergangenen 50 Jahren nahm der Bestand der Nachtfalter in Baden-Württemberg besorgniserregend ab. Das belegten von der LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg und dem Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe bereits im Herbst 2021 veröffentlichte Daten eines umfangreichen Monitorings. Vorsichtig interpretiert, wiesen die Daten einen Rückgang von 25 Prozent der Individuen nach. In den letzten Monaten haben die beiden Institutionen die Monitoringdaten wissenschaftlich ausgewertet und für ausgewählte Faktoren geprüft, welchen Einfluss sie auf den gravierenden Rückgang der Nachtfalter haben. Die Ergebnisse wurden nun veröffentlicht.
Lebensgrundlage Vielfalt
„Nachtfalter sind hochgradig an ihre Lebensräume angepasst. Verschwindet die Vielfalt der Lebensräume, geht auch die Vielfalt der Arten zurück. Genau das ist in Baden-Württemberg in den letzten 50 Jahren passiert“, mit diesen Worten fasst Dr. Ulrich Maurer, Präsident der LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg, die zahlreichen Einzelbefunde der rund 800-seitigen wissenschaftlichen Auswertungen des Naturkundemuseums zusammen und betont: „Die Entwicklung der Nachtfalterpopulation steht exemplarisch für unsere Insekten in Baden-Württemberg.“
Verlust von Lebensräumen ist eine Ursache für Rückgang
In dem Forschungsbericht wurden insgesamt 868 Nachtfalterarten erfasst. Der Großteil der heimischen Nachtfalter ist hochgradig an bestimmte Lebensräume angepasst. Die Analyse belegt eine Abnahme der Artenzahlen für alle Biotoptypen. Jedoch ist dieser Trend je nach Lebensraum unterschiedlich stark. Besonders deutlich ist die Abnahme in Feuchtgebieten großräumig ebener Lagen. Die geringsten Rückgänge des Artenreichtums wurden für Trockenwälder beobachtet.
Arten nährstoffarmer Standorte des Offenlandes sind am stärksten betroffen
Nährstoffarme Standorte des Offenlands weisen mit minus 15 Prozent einen überdurchschnittlich hohen Verlust an Nachtfalterarten auf. Zu den nährstoffarmen Lebensräumen zählen trockene Biotope wie Magerrasen, Heiden und Felsfluren, aber auch feuchte Biotope wie Niedermoore, Feuchtgrünland sowie feuchte Gebüsche und Säume. Nachtfalterarten wie das Trockenrasen-Flechtenbärchen (Setina irrorella) oder die Röhricht-Goldeule (Plusia festucae) sind auf genau solche Lebensräume angewiesen und im Beobachtungszeitraum besonders selten geworden.
Schatzkästchen „nährstoffarme Lebensräume“
„Nährstoffarme Lebensräume sind die Schatzkästchen der Natur. Hier ist eine große Vielfalt an Arten zu finden“ erläutert Maurer und ergänzt: „Früher waren es noch Schatzkisten, doch diese Lebensräume wurden in den letzten Jahrzehnten immer weniger.“ Solche Lebensräume sind vor allem durch Stickstoffeinträge gefährdet. Nimmt die Stickstoffbelastung zu, führt dies zu verstärktem Aufwuchs einer kleineren Zahl von Pflanzenarten, der Verdrängung niedrigwüchsiger Kräuter und der Veränderung des Mikroklimas. Arten magerer Standorte wird dadurch ihre Lebensgrundlage entzogen.
Arten der Hochlagen zeigen stärkste Verluste
Aufgrund der Spezialisierung der Arten auf bestimmte Lebensräume und klimatische Verhältnisse weisen viele Nachtfalter eine spezifische Höhenverbreitung auf. Besonders stark zeigt sich der Artenverlust in den Hochlagen. Während die Verluste seit der Jahrtausendwende bei den Arten der Ebene minus 9 Prozent betrugen, lagen diese bei Arten der montanen und hochmontanen Bereiche im Durchschnitt bei minus 16 Prozent beziehungsweise minus 19 Prozent. Arten mit einer Anpassung an kühlfeuchte Lebensräume, wie beispielsweise die Mondfleckglucke (Cosmotriche lobulina), ziehen sich also in die Hochlagen zurück oder sterben lokal aus, wenn keine Ausweichmöglichkeiten mehr gegeben sind.
Kontinentale Arten gehen zurück, mediterrane Arten nehmen zu
Der mediterrane Anteil der Nachtfalterarten des Landes ist seit dem Jahr 2000 um 7 Prozent gestiegen. Kontinentale Arten sind um 15 Prozent zurückgegangen. 73 Prozent der Arten zählen in Baden-Württemberg zu den kontinentalen Arten, das bedeutet, die überwiegende Zahl der Arten sind von einem deutlichen Rückgang betroffen.
Veränderung wurde für einen 50-jährigen Zeitraum nachvollzogen
Deutschlandweit einmalig war bei diesem Forschungsprojekt die Möglichkeit, einen Zeitraum von 50 Jahren für ein ganzes Bundesland zu untersuchen. Monitoringdaten der LUBW kombiniert mit historischen Angaben aus dem Karlsruher Naturkundemuseum ermöglichten einen Vergleich von zwei Zeitfenstern, welche die vergangenen 50 Jahre abdecken. Rund 130.000 Datensätze flossen in die Analyse für 25 Gebiete ein.
Ergebnisse veröffentlicht in „Wandel der Nachtfalterfauna Baden-Württembergs seit 1970“
Die von der LUBW beauftragte Studie liegt als rund 800 Seiten starke Publikation in der vom Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe herausgegebenen wissenschaftlichen Reihe „Andrias“ vor.
„Die nun vorgelegte wissenschaftliche Veröffentlichung zeigt präzise den Umfang des Faunenwandels und wie wichtig das Forschen nach seinen Ursachen ist“, betont Dr. Robert Trusch, Kurator Lepidoptera am Staatlichen Naturkundemuseum Karlsruhe und einer der Verfasser der umfangreichen Untersuchung. Maurer ergänzt: „Die deutlichen Veränderungen bei dieser kleinen, aber im ökologischen Gefüge wichtigen Artengruppe bestätigt, dass sich die Natur in Baden-Württemberg durch unsere Nutzung der Landschaft, aber auch durch den Klimawandel bereits stark verändert hat.“
Hintergrundinformation
- Wandel der Nachtfalterfauna Baden-Württembergs seit 1970
Karbiener, O., Trusch, R. (2022): Wandel der Nachtfalterfauna Baden-Württembergs seit 1970. Band 1-2. – Andrias 22: I-IX+1-808, Einlagetabelle (48 S.); Karlsruhe.
Zwei Jahrzehnte nach dem Erscheinen des Grundlagenwerkes „Die Schmetterlinge Baden-Württembergs“ vermittelt der Doppelband nun erstmals wieder einen Überblick über die aktuelle Bestandsentwicklung der Nachtfalter des südwestdeutschen Bundeslandes und liefert damit wertvolle Informationen zur Insektenvielfalt und deren Rückgang. Die Grundlagen und Ergebnisse des von der LUBW beauftragten historischen Vergleichs, die über die Landesgrenzen hinaus von Bedeutung sind, werden damit öffentlich verfügbar gemacht.
- Kurzzusammenfassung: „Wandel der Nachtfalterfauna Baden-Württembergs seit 1970 , Herausgeber LUBW, 12 Seiten
Insektenmonitoring
Das im Jahr 2018 in Baden-Württemberg gestartete landesweite Insektenmonitoring ist ein zentrales Element des Sonderprogramms zur Stärkung der biologischen Vielfalt der Landesregierung in Baden-Württemberg. Es wird von der LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg koordiniert und gemeinsam mit den Staatlichen Museen für Naturkunde in Karlsruhe und Stuttgart sowie externen und zum Teil ehrenamtlich engagierten Artenexpertinnen und –experten umgesetzt.
Weitere Informationen sind auf der LUBW-Webseite „Insektenmonitoring“ zu finden:
Vorausgegangene Pressemitteilungen:
LUBW-Nachtfaltermonitoring
LUBW-Insektenmonitoring für BW
Sonderprogramm Biologische Vielfalt
29.08.2018 Neues Konzept zum landesweiten Insektenmonitoring
Bild zeigt: Historischer Vergleich der Artenzusammensetzung von Nachtfaltern der Roten Liste in einem exemplarisch ausgewählten Untersuchungsgebiet des Nachtfalter-Monitorings. Quelle: Ulrike Eberius.
Das Bildmaterial kann in Zusammenhang mit der Pressemitteilung genutzt werden. Klicken Sie auf das Bild für eine höhere Aufläsung.
Weitere Informationen:
Dr. Robert Trusch
Kurator Lepidoptera, Referat Entomologie
Staatliches Museum für Naturkunde Karlsruhe
Tel. (0721) 175-2842
E-Mail: trusch@smnk.de
Staatliches Museum für Naturkunde Karlsruhe Pressestelle Erbprinzenstr. 13 76133 Karlsruhe Tel.: +49 721 175-2155 Fax: +49 721 175-2110
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LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg Pressestelle Griesbachstraße 1 76185 Karlsruhe Tel. 0721/5600-1387 Fax: 0721/5600-1324 E-Mail: pressestelle@lubw.bwl.de Internet: https://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/presseservice
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