Entwicklung des Landschaftszerschneidungsgrads

 

Hintergrund und Methodik zur Ermittlung des Zerschneidungsgrads


Wir stellen Ihnen hier die Ergebnisse des Projekts "Landschaftszerschneidung in Baden-Württemberg" vor. Im Jahr 2000 wurde das Projekt von der Akademie für Technikfolgenabschätzung initiiert und in Kooperation mit der LUBW (ehemals Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg) und dem Institut für Landschaftsplanung und Ökologie der Universität Stuttgart durchgeführt.

Ziel war, eine Methode zu entwickeln, mit der der Grad der Zerschneidung eines definierten Gebietes berechnet werden kann. Die Berechnungen sollten soweit standardisiert werden, dass sie als Grundlage für die Berechnungen der Landschaftszerschneidung in Baden-Württemberg zu jedem beliebigen Zeitpunkt dienen können. Zusätzlich konnten mit dieser Methode - vom aktuellen, digitalen Datenstand ausgehend - durch Digitalisierung von Karten auch frühere Zeitschnitte dargestellt werden. So entstand eine Zeitreihe der Entwicklung des Zerschneidungsgrades. Es wurden Auswertungen für unterschiedliche administrative und naturräumliche Einheiten durchgeführt.


Zur Ermittlung des Zerschneidungsgrads wurden linienhafte und flächenhafte Infrastrukturdaten des Amtlichen Topographisch Kartographischen Informationssystems (ATKIS DLM 25) im Maßstab 1:25 000 herangezogen. Als trennende Objekte wurden eingestuft:

  • Straßen (Bundesautobahnen, Bundes-, Landes-, Kreis- sowie Gemeindestraßen)
  • Schienen
  • Flüsse ab einer Breite von 6 m
  • Seen
  • Siedlungen

Diese Geometrie unterscheidet sich von der Geometrie der Unzerschnittenen Verkehrsarmen Räume über 100 km² Größe (UZVR100). Hauptunterschied ist die Verkehrsstärke, die hier nicht mit einfließt. Des Weiteren werden hier Flüsse und Seen mit einbezogen, die wiederum bei der UZVR100-Geometrie nicht berücksichtigt werden.

Die erarbeiteten Zerschneidungsgeometrien stehen der interessierten Öffentlichkeit sowie Planern über den Daten- und Kartendienst der LUBW als shapefiles zur Verfügung. Hinweise zur Handhabung der Daten sowie Details zur Methodik finden Sie unter Literatur und Internetquellen unter weiterführende Verweise.

Entwicklung der Landschaftszerschneidung in Baden-Württemberg seit 1930

 

Datengrundlage


Zur kartographischen Rekonstruktion der Entwicklung der Landschaftszerschneidung in Baden-Württemberg während der vergangenen sieben Jahrzehnte wurden Topographische Übersichtskarten von Baden-Württemberg im Maßstab 1:200 000 herangezogen.


Die Analyse wurde für 4 Zeitschnitte in der Vergangenheit mit folgenden Datengrundlagen durchgeführt:

  1. um 1989 auf der Grundlage der TÜK Baden-Württemberg (1 : 200 000)
  2. um 1977 auf der Grundlage der TÜK Baden-Württemberg (1 : 200 000)
  3. um 1966 auf der Grundlage der TÜK Baden-Württemberg (1 : 200 000)
  4. um 1930 auf der Grundlage der Karte des Deutschen Reiches (1 : 200 000)

Die vorhandenen Kartenblätter wurden zunächst eingescannt und georeferenziert, d.h dem Gauß-Krüger-Koordinatensystem zugeordnet. Danach erfolgte eine „Zurückdigitalisierung“ der Straßen, Schienen und Orte von Zeitschnitt zu Zeitschnitt auf Grundlage der digitalen ATKIS-Daten von 1998*. Da inzwischen die ATKIS-Daten aktualisiert wurden, können wir nun die Entwicklung der Siedlungs- und Infrastruktur von 1930 bis 2004 darstellen.

Über den Daten- und Kartendienst der LUBW können die Siedlungen, Straßen und Schienen für die einzelnen Zeiträume individuell angezeigt werden. Auf Grundlage der Siedlungs- und Infrastrukturdaten wurde dann der Landschaftszerschneidungsgrad der einzelnen Zeitstände ermittelt. Die Entwicklung des Zerschneidungsgrads wird in Form von Zeitreihen dargestellt.


*Flüsse und Seen wurden für die historische Auswertung nicht analysiert, stattdessen wurden für alle Zeitpunkte die ATKIS-Gewässerdaten von 1998 verwendet, da die tatsächliche Breite der Flüsse, allein aus dem Kartenbild der älteren Karten, nicht nachvollzogen werden kann.

Visualisierung der Entwicklung der Siedlungsflächen und der Länge der Straßen und Schienenwege

 

Für die Visualisierung der Siedlungsentwicklung und der Entwicklung der Straßen- und Schienenwege wurde u. a. auf die Angaben aus dem Digitalen Basis-Landschaftsmodell (Basis-DLM) zurückgegriffen.

Für die Entwicklung der Siedlungsflächen wurde aus diesem Datenbestand das Thema Ortslage herausgegriffen. Die Ortslage beinhaltet die baulich geprägten Flächen und Siedlungsfreiflächen einschließlich der Straßen- und Schienenverkehrswege von im Zusammenhang bebauten Siedlungsteilen. Ausgeschlossen sind die Straßen- und Schienenverkehrsflächen außerhalb der Ortslagen. Ebenso ausgeschlossen sind Flächen, die von einzelnen Anwesen oder sonstigen von Menschen genutzten Einrichtungen außerhalb von Ortslagen eingenommen werden. Die auf diesen Flächen bestehenden Bauwerke und Einrichtungen werden wohl auch als solche erfasst, sofern sie genügend Bedeutung haben, sind aber nicht bei den Ortslagen aufgenommen. Insbesondere in Gebieten, wo Einzelgehöfte und sehr kleine Splittersiedlungen vorherrschen, z.B. in Oberschwaben, wird somit ein erheblicher Teil der baulich geprägten Flächen nicht erfasst.

Digital konnte auf die Ortslagen für die Jahre 1998 und 2004 aus dem Datenbestand ATKIS-DLM25 zurück gegriffen werden. Um die Dynamik der Ortslagen im Verlauf von 75 Jahren visualisieren zu können, wurden diese rückwirkend anhand der alten Topografischen Übersichtskarte 1:200.000 digitalisiert. Dies geschah im Zusammenhang mit der Entwicklung der Darstellungen zur Landschaftszerschneidung. Für die Zwecke der Landschaftszerschneidung wurden auch die Straßen und Schienenwege auf dieselbe Art und Weise erfasst und zu den Darstellungen aufgenommen.

Die Analyse wurde für 6 Zeitschnitte in der Vergangenheit mit folgenden Datengrundlagen durchgeführt:

  1. um 2004 auf der Grundlage des Basis-DLM (1:10.000)
  2. um 1998 auf der Grundlage des Basis-DLM (1:10.000)
  3. um 1989 auf der Grundlage der TÜK Baden-Württemberg (1 : 200 000)
  4. um 1977 auf der Grundlage der TÜK Baden-Württemberg (1 : 200 000)
  5. um 1966 auf der Grundlage der TÜK Baden-Württemberg (1 : 200 000)
  6. um 1930 auf der Grundlage der Karte des Deutschen Reiches (1 : 200 000).
Die Entwicklung der Straßen und Siedlungen kann über den Daten- und Kartendienst der LUBW individuell für alle Zeitschritte (1930, 1966, 1977, 1989, 1998, 2004) nachvollzogen werden.

 

Entwicklung des Zerschneidungsgrads
 

Die Zerschneidungsgeometrie


Grundlage für die hier dargestellte Entwicklung des Zerschneidungsgrads von Baden-Württemberg sind Zerschneidungsgeometrien (Karten), die aus folgenden Trennelementen aufgebaut sind: Straßen (Autobahnen, Bundesstraßen, Landesstraßen, Kreis- und Gemeindeverbindungsstraßen), Schienen, Siedlungen, Flüsse breiter 6 m und Seen. Diese Zerschneidungsgeometrien unterscheiden sich von der Geometrie zur Ermittlung der großen "Unzerschnittenen Verkehrsarmen Räume", die innerhalb der Steckbriefe dargestellt werden. Für die Ermittlung dieser Räume wurden nicht alle Straßen allein auf der Grundlage ihrer Kategorie als trennend eingestuft, sondern lediglich Straßen mit einer stärkeren Verkehrsbelastung (>1000 KfZ/Tag).
 

Hinweis zur Interpretation Zerschneidungsgrad / effektiven Maschenweite (Meff)
Innerhalb des Projekts wurde der Zerschneidungsgrad mit der Messgröße "effektive Maschenweite" (Meff) gemessen. Der Zerschneidungsgrad verhält sich umgekehrt proportional zur Meff. D.h. wenn die Meff sinkt, so steigt der Zerschneidungsgrad. Steigt die Meff, sinkt der Zerschneidungsgrad, oder anders ausgedrückt, die Maschen werden größer.


Die Zeitreihe des Zerschneidungsgrads


Der Zerschneidungsgrad hat in den vergangenen 70 Jahren um etwa 40% zugenommen. Die Untersuchung der Landschaftszerschneidung seit 1930 ergab einen Rückgang der effektiven Maschenweite von 22,92 km² im Jahr 1930 auf 13,1 km² im Jahr 2004. Der Verlauf der Kurve für die effektive Maschenweite (siehe Abbildung) zeigt einen kontinuierlichen Rückgang von 1930 bis 1977 von 22,92 km² über 19,46 km² (1966) bis 17,8 km². Von 1977 bis 1989 zeigt sich ein besonders deutlicher Rückgang um 21,4% auf 13,99 km². Nach 1989 sinkt die Maschenweite deutlich langsamer als zuvor.

Mit der Berechnung für das Jahr 2013 (letzter Kurvenpunkt) kann die gebremste Zunahme der Landschaftszerschneidung bestätigt werden. Betrachtet man das die Gemeindestraßen inkludierende Straßennetz (o.G.), so zeigt der Indikator sogar eine positive, auf die Sperrung einiger Straßen zurückzuführende Entwicklung an.

Erläuterungen zur Messgröße "Effektiven Maschenweite" finden sie unter Weiterführende Verweise

Liniendiagramm zum Zerschneidungsgrad: effektive Maschenweite mit und ohne Gemeindeverbindungsstraßen zwischen 1930 und 2013.
m. / o.G. = mit / ohne Gemeindeverbindungsstraßen
 

Die Entwicklung der großen unzerschnittenen Räume


Ein weiteres Kriterium für die Beurteilung der Landschaftszerschneidung ist die Zeitreihe der Anzahl der unzerschnittenen Räume über 100 km² bzw. über 50 km² Größe (nicht identisch mit den Unzerschnittenen Verkehrsarmen Räumen). Die Anzahl der Räume größer als 50 km² sank seit 1930 von 52 auf 22*, dies entspricht einem Rückgang um ca. 54%. Der Anteil dieser Räume an der Landesfläche verringert sich von 11,8% auf 5,2% und damit um 6,6% der Landesfläche. Flächen zwischen 50 und 100 km² überdecken den gesamten Schwarzwald und große Teile der Schwäbischen Alb (hier verstärkt im Nordosten und Südwesten).

1930 gab es noch 11 Flächen über 100 km², davon sogar eine über 200 km² (eine Fläche am Rande des Mittleren Schwarzwaldes mit 206,2 km²). Weitere große unzerschnittene Räume lagen im Hochschwarzwald und im Gebiet des Schönbuchs. Bis 2004 sank die Zahl der Flächen in dieser Kategorie auf 6, allerdings waren es bereits 1966 nur noch 7 Flächen. 1989 fällt zwischen Haslach im Kinzigtal und Freudenstsadt noch eine Fläche weg, die durch den Bau mehrerer Gemeindeverbindungstraßen zerteilt wird. Diese Entwicklung trägt zur starken prozentualen Abnahme der effektiven Maschenweite zwischen 1977 und 1989 bei. Der Flächenanteil dieser sechs verbleibenden großen unzerschnittenen Räume beträgt seit 1989 konstant 2,1% der Landesfläche. Durch den Wegfall einiger Gemeindeverbindungsstraßen hat sich die Anzahl der Flächen über 50 km² mit der Erhebungen 2008 und 2013 erhöht.
 

Zeitpunkt

meff

Größte Fläche

Flächen > 100 km²
Anzahl (Fläche / % der Landesfläche)

Flächen > 50 km²
Anzahl* (Fläche / % der Landesfläche)

2013

13,20 km²

143,60 km²

6 (762 km²/2,1%)

26 (2136 km²/6,0%)

2008

12,90 km²

142,20 km²

6 (761 km²/2,1%)

25 (2056 km²/5,7%)

2004

13,01 km²

142,30 km²

6 (764 km²/2,1%)

22 (1867 km²/5,2%)

1998

13,66 km²

146,70 km²

6 (752 km²/2,1 %)

22 (1880 km²/5,3 %)

1989

13,99 km²

146,83 km²

6 (753 km²/2,1 %)

23 (1941 km²/5,4 %)

1977

17,80 km²

161,39 km²

7 (973 km²/2,7%)

36 (2875 km²/8,0%)

1966

19,46 km²

161,49 km²

7 (975 km²/2,7 %)

39 (3068 km²/8,6 %)

1930

22,92 km²

206,20 km²

11 (1497 km²/4,2%)

52 (4067 km²/11,8%)


*Anzahl inklusive der Räume > 100 km²

 

Karten


Die dargestelllten Karten zur Landschaftszerschneidung in Baden-Württemberg für die Jahre 1930 und 2004 verdeutlichen die Entwicklung des Zerschneidungsgrades seit bestehen der BRD.

Kartendarstellung unzerschnittener Räume des Jahres 1930: der überwiegende Teil großer, verbleibender Flächen Baden-Württembergs befindet sich im Schwarzwald zwischen Karlsruhe und Freiburg.   Kartendarstellung unzerschnittener Räume des Jahres 2004: der überwiegende Teil großer, verbleibender Flächen Baden-Württembergs befindet sich im Schwarzwald zwischen Karlsruhe und Freiburg.

Karten aus den Jahren 1930, 66, 77, 89, 98 und 2004 im Format DIN A 3 stehen hier als pdf zum download (jeweils ca. 3 MB) bereit. Auf eine entsprechende Darstellung der Zeitschnitte 2008 und 2013 wird verzichtet, da die eher stagnierende Entwicklung im landesweiten Betrachtungsmaßstab keinen Informationsgewinn ergeben würde.

Szenario Generalverkehrsplan
 

Der Generalverkehrsplan 1995


Mit Hilfe des Generalverkehrsplans von 1995* wurden zusätzlich geplante Straßenabschnitte digital erfaßt, die in dem Zerschneidungsnetz von 2004 noch nicht enthalten sind. So kann eine erste, grobe Abschätzung der zukünftigen Entwicklung der Landschaftszerschneidung getroffen werden.
Der Generalverkehrsplan unterscheidet zwischen "Neubau (1994 bis 2012)", dem "Bedarf nach 2012" und "Ausbau von Straßen". Es wurden nur die neu hinzukommenden Straßenabschnitte digitalisiert, da bei einem Ausbau keine neue Zerschneidungswirkung auftritt. Weiterhin sind im GVP ausgewählte Bundesfernstraßenplanungen dargestellt. Diese wurden ebenfalls digitalisiert. Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse beziehen sich also auf alle drei Kategorien an Straßenneubauten ("Neubau von 1994- 2012", "Weiterer Bedarf nach 2012" und "Bedarf an Bundesfernstraßen").
 

Ergebnisse


Insgesamt verlängert sich das Straßennetz gegenüber dem Netz von 2004 um 664 km, dies entspricht 1,5%. Berechnet man den Zerschneidungsgrad mit Hilfe der effektiven Maschenweite, so erhöht sich dieser um 0,62%, d.h. die effektive Maschenweite sinkt von 13, 01 auf 12,93 km².

Die Veränderungen sind damit landesweit nur geringfügig. Der Zerschneidungsgrad ändert sich in kleinerem Umfang als die Straßenlänge. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass es sich bei den geplanten Straßenabschnitten hauptsächlich um Ortsumfahrungen handelt. Diese führen meist in einem kleinen Bogen um die bereits stärker zerschnittenen Siedlungsräume. Folglich werden dadurch hauptsächlich kleine Gebiete noch weiter zerstückelt.

Die großen Unzerschnittenen Räume bleiben weitgehend unbeeinträchtigt von den Planungen. Bei einem Raum jedoch greift eine Planung im Randbereich in den UZVR100 ein. Diese Situation wird auf der Steckbriefseite ("Hochschwarzwald Trubelsmattkopf") genauer dargestellt. Solch randlichen Beeinträchtigungen von unzerschnittenen Gebieten sind typisch für die langsam fortschreitende Landschaftszerschneidung.

Insgesamt wirken sich die geplanten Neubaustrecken des Generalverkehrsplanes 1995 nicht gravierend auf die Landschaftszerschneidung aus. In Teilbereichen werden jedoch sensible Bereiche weiter zerstückelt. So finden sich z.B. gerade in dem ökologisch sehr sensiblen Bereich der Rheinauen, im Grenzgebiet zu Frankreich, verhältnismäßig viele Neubauabschnitte.

* Der aktuelle Generalverkehrsplan wurde von der Landesregierung im Dezember 2010 beschlossen.